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Rezension: „Stella“ von Takis Würger

"Stella" von Takis Würger
Stella am E-Book-Reader. (Bild: MBW/Hanser)

Dieses Buch kann man kaum unbelastet lesen, angesichts des riesigen Wirbels, den es verursacht hat. Ständig wuseln einem beim Lesen von „Stella“ Fragen im Kopf herum, wie: War das jetzt eine der Stellen, wegen denen das Buch so zerrissen wurde? Meint Takis Würger das jetzt ernst? Darf man das? Ich versuche hier einmal meine persönliche Einschätzung.

Takis Würger beschreibt in „Stella“ vor allem das Schicksal der Jüdin Stella Goldschlag, die in den 1940er-Jahren als sogenannte Greiferin in Berlin untergetauchte Juden bei der Gestapo denunzierte. Ursprünglich hatte Goldschlag wohl versucht, mit den Informationen sich, ihren damaligen Mann sowie ihre Eltern vor einer Deportation in ein Vernichtungslager zu bewahren.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihr vorgeworfen, die Denunziationen auch nach der Deportation ihres Mannes und ihrer Eltern fortgesetzt zu haben. Schätzung zufolge sollen mit ihrer Mithilfe zwischen 600 und 3.000 Juden von der Gestapo entdeckt und festgenommen worden sein. (Quelle: Wikipedia)

„Stella“ von Takis Würger. (Bild: Hanser)

Das nur 224 Seiten starke Buch wird aus der Perspektive des Schweizers Friedrich erzählt, der das Jahr 1942 in Berlin verbringt. Friedrich kommt aus reichem Elternhaus, er lebt dort in einem Luxushotel und kann sich auch Annehmlichkeiten wie Bohnenkaffee und Champagner leisten – diese Annehmlichkeiten genießt auch Stella, die unter dem Decknamen Kristin in Friedrichs Leben tritt. Er verliebt sich in sie, bleibt länger als geplant in Berlin. Fast genau ein Jahr.

Zunächst verbringen sie die Zeit in Jazz-Clubs, trinken viel, lassen es sich gutgehen. Nachdem sie und ihre Eltern verhaftet worden sind, Stella offenbar gefoltert, aber wieder auf freiem Fuß, erzählt sie Friedrich, dass sie Jüdin ist. Um ihre Eltern zu retten, müsse sie jetzt einen jüdischen Passfälscher aufspüren. Friedrich spürt, dass das nicht alles ist. Ihre anhaltende Zusammenarbeit mit der Gestapo sorgt schließlich für den Eklat. Friedrich reist ab.

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Gespickt mit historischen Dokumenten

Gespickt ist die Geschichte mit kurzen Berichten zu wahren Begebenheiten in jedem Monat des Jahres 1942, in dem „Stella“ spielt. Außerdem gibt es am Ende jedes Kapitels Auszüge aus Prozessakten, in denen Zeugen von den Denunziationen und Aktionen von Stella Goldschlag („Angeklagte“) berichten. Die meisten Opfer kamen demnach, nachdem sie von Stella und ihrem zweiten Mann Rolf Isaaksohn verraten wurden, in eines der Vernichtungslager.

„Stella“ beginnt mit der Kindheit und Jugend Friedrichs, eines Jungen, der von seiner alkoholkranken antisemitischen Mutter zum Malen gezwungen wird. Friedrich ist allerdings nach dem Schlag eines Mannes, der ihm die Wange aufreißt, farbenblind. Die Farben erkennt er lediglich am Geruch. Der Vater, ein wohlhabender Fabrikant, ist kaum zu Hause. In Berlin will Friedrich herausfinden, was an den Gerüchten dran ist, dass nachts Möbelwagen durch das Scheunenviertel fahren und jüdische Menschen „abholen“. Kristin/Stella lernt Friedrich in einer Kunsthochschule kennen, wo sie als Aktmodell arbeitet.

Bis ungefähr zur Hälfte des Romans liest sich „Stella“ gar nicht einmal schlecht. Leser*innen können sich in das Schicksal Friedrichs einfühlen. Auch die Ankunft in Berlin, sogar die ersten Anbahnungsversuche sind noch durchaus lesbar. Dann aber gibt es tatsächlich einen Riss, als ob ein anderer Autor das Schreiben übernommen hätte. Die Figuren – Kristin/Stella, Obersturmbannführer Tristan, ja, selbst Friedrich – sind auf einmal nur noch holzschnittartig gezeichnet. Die Dialoge sind teils unterirdisch. Der von vielen Kritikern bemängelte Kitsch – hier findet er sich jetzt.

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Kitschige Liebesgeschichte in schrecklicher Zeit

Ob man so banal über diese schreckliche Zeit schreiben darf, eine letztlich kitschige Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des wahren Grauens, das muss wohl der Autor selbst für sich beantworten. Das Feuilleton ist sich jedenfalls einig: Darf man nicht! Wäre die Geschichte wenigstens rund, würde man wenigstens etwas über den inneren Kampf erfahren, der sich in Stella abspielt, würde Friedrich etwas anderes sagen und denken als: „Ja, aber warte mal, du magst doch Benny Goodman und das alles“, als er erfährt, dass Tristan bei der SS ist – vielleicht wäre „Stella“ dann wirklich empfehlenswert.

Fazit

So aber gilt: Takis Würger hat einen Groschenroman geschrieben, der mit schrecklichen „echten“ Schicksalen aufgefettet wird. Wer mitdiskutieren will, sollte sich „Stella“ besorgen. Man muss das Buch aber nicht gelesen haben, ehrlich nicht. Wen die historische Stella Goldschlag interessiert, der kann sich eher das gleichnamige Buch von Peter Wyden besorgen (bei uns im Shop). Wyden (früher Weidenschlag) war ein Mitschüler Goldschlags und hat die Frau für sein Anfang der 1990er-Jahre erschienenes Buch dreimal interviewt.

„Man beginnt dieses Buch mit Skepsis, man liest es mit Spannung und Erschrecken, man beendet es mit Bewunderung.“

Daniel Kehlmann (via Hanser Verlag)

„Stella“ (Hanser) von Takis Würger bei uns im Shop:

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